Gesundheitsförderliche und präventive Aktivitäten im Setting „Stationäre Pflegeeinrichtungen“ sind seit 2015 mit dem Präventionsgesetz mehr in den Mittelpunkt gerückt. Der Rahmen wurde seitens des GKV-Spitzenverbandes im Leitfaden „Prävention in stationären Pflegeeinrichtungen nach § 5 SGB XI“ formuliert. Der Leitfaden definiert u. a. die Beteiligung der „Betroffenen“ und der Verantwortlichen für die jeweilige Lebenswelt als Grundverständnis zielgerichteter gesundheitsförderlicher Prozesse. Das Setting „Stationäre Pflegeeinrichtungen“ weist im Vergleich zu anderen Lebenswelten die Besonderheit auf, dass die Einrichtungen ein dauerhaftes zu Hause für die Bewohnenden sind, die sich in ihrem letzten Lebensabschnitt befinden. Da diese oftmals aufgrund von physischen und/oder psychischen Erkrankungen Einschränkungen in ihrer Selbstbestimmung erfahren, sollte ein besonderes Augenmerk auf den Vorteilen der Partizipation liegen.
Beispielsweise kann Partizipation eine positive Auswirkung auf die subjektiv erlebte Lebensqualität und Selbstwirksamkeit haben, denn die Wahrnehmung der subjektiven Gesundheit im Alter zeigt sich weniger in einer vollständigen Abwesenheit von Krankheit, sondern im Erhalt der Lebensqualität und Selbstbestimmung. In Beteiligungsprozessen wird eine wertschätzende Haltung der Beteiligten gefördert und somit Momente geschaffen, in denen nicht der Verlust von Fähigkeiten und Möglichkeiten im Fokus stehen.
Unter den Stichworten „Zugang, Akzeptanz und Passgenauigkeit“ wird deutlich, dass Beteiligungsprozesse Chancen eröffnen mehr über die Zielgruppe zu erfahren und gleichzeitig die Attraktivität und Angebotsqualität von Maßnahmen zu erhöhen.
Mit gutem Beispiel voran...
Für die Zielgruppe der hochaltrigen Menschen mit Pflegebedarf in der Lebenswelt „stationäre Pflege“ gibt es in Deutschland zum Thema Partizipation im Zusammenhang mit gesundheitsförderlichen Aktivitäten bisher wenig Erfahrung. Hier geht der Qualitätsverbund Netzwerk im Alter – Pankow e. V. mit dem Modellprojekt „Regionale qualitätsgesicherte Implementierung von verhaltens- und verhältnisbezogenen Maßnahmen zur Bewegungsförderung in der Lebenswelt Pflege in Berlin – kurz (BLP) mit gutem Beispiel voran.
Im Rahmen des Projekts wurde ein eigenes praxisorientiertes Konzept - das „Ideen-Café in der Lebenswelt Pflege©“ zur Beteiligung der Zielgruppe im Setting entwickelt. Für das Konzept wurden als zentrale Bausteine die Methoden Gruppendiskussion, World-Café und Nadelmethode ausgewählt und für die Umsetzung auf die Zielgruppe und das Setting adaptiert.
Die Einrichtungen erhalten vom QVNIA e. V. unterstützend zur Vorbereitung ein Einladungsschreiben, welches an die gesamte Bewohner- bzw. Tagesgästeschaft ausgeteilt wird. Eingeladen sind ebenso Ehrenamt und Angehörige. Die Vor- und Nachbereitung sowie die Moderation der anderthalbstündigen Ideen-Cafés werden durch zwei Mitarbeitende des QVNIA-Projektteams umgesetzt. Die Einrichtung stellt zur Umsetzung atmosphärisch vorbereitete Räumlichkeiten zur Verfügung und begleitet durch einen Mitarbeitenden der Betreuung. Dieser hat die Rolle, zwischen Moderation und Teilnehmendenschaft Vertrauen aufzubauen, jedoch die Diskussion nicht zu beeinflussen.
Das „Ideen-Café in der Lebenswelt Pflege“ folgt einem festen Ablauf:
a) Begrüßung durch die Moderierenden und Erklärung des Ziels der Veranstaltung/Zusammenkunft.
b) Niedrigschwellige Information der Zielgruppe zur gesundheitsorientierten Bewegungsförderung auch im Sinne der Entwicklung von Gesundheitskompetenz:
Zu Beginn eines jeden „Ideen-Cafés der Lebenswelt Pflege©“ erhalten die Teilnehmenden eine kurze Einführung zu den gesundheitsorientierten Bewegungsempfehlungen ihrer Zielgruppe sowie zum gesundheitlichen Nutzen. Hierzu hat der QVNIA e. V. ein eigenes Lehrplakat für die Zielgruppe und das Setting entwickelt, welches den Teilnehmenden als Handout ausgegeben wird.
c) Biografischer Austausch, Selbst- und Einrichtungsbewertung, Ideensammlung
Im Anschluss werden unterschiedliche Fragen u. a. zu Bewegungserfahrungen, dem aktuellen Bewegungsverhalten und den förderlichen und hinderlichen Rahmenbedingungen gestellt. Ergänzend hieran werden Ideen und Wünsche für die Zukunft gesammelt, die es benötigen würde, so dass sich die Teilnehmenden im Alltag mehr bewegen würden.
Spannend ist, dass die Teilnehmenden zumeist ihr aktuelles Bewegungsverhalten ausbaufähig halten und sich selbstkritisch in der Runde reflektieren. Im Durchschnitt geben sich die Teilnehmenden eine Schulnote von 3,5.
Lebendig ist zudem der Austausch über die Bewegungserfahrungen der Einzelnen. Dadurch werden Erinnerungen geweckt und ein Einstieg zur Ideensammlung ermöglicht.
„Wir hatten früher nie viel Zeit für Sport. Wir sind viel Fahrrad gefahren und gelaufen – nen Auto hatten wir ja nicht – das war Bewegung genug.“ (Aussage einer Teilnehmerin aus dem „Ideen-Café der Lebenswelt Pflege©“)
„Ich habe jahrelang im Verein Ball gespielt und auch sonst allerhand Sport gemacht. Ich habe mich schon immer gern und viel bewegt, auch heute noch, obwohl es einem immer schwerer fällt. Würde gern gleiches tun, nur halt so wie ich es kann“ (Aussage eines Teilnehmers aus dem „Ideen-Café der Lebenswelt Pflege©)
Zudem bewerten die Teilnehmenden auch die Einrichtung in Hinblick auf die Bewegungsförderung. Die Teilnehmenden können förderliche und hemmende Faktoren für die Durchführung von Bewegung anhand der Empfehlungen formulieren und Wünsche äußern.
„Ich würde so gern mal wieder Schwimmen gehen! Es wäre toll, wenn hier ein Schwimmbad wäre oder jemand mit uns in die Schwimmhalle fahren könnte.“ (Aussage einer Teilnehmerin aus dem „Ideen-Café der Lebenswelt Pflege©“)
„Der innere Schweinehund ist immer das schlimmste (lacht). Allein würde ich nix machen, aber mit den Anderen, da wird man immer mitgezogen, vor allem auch von den Betreuungskräften. Die machen das schon alles ganz toll hier, obwohl sie so viel zu tun haben.“ (Aussage einer Teilnehmerin aus dem „Ideen-Café der Lebenswelt Pflege©“)
d) Umfeldanalyse im Sinne der Nadelmethode zur Einschätzung der bewegungsförderlichen Infrastruktur der Einrichtung
Zum Abschluss der Ideen-Cafés kommt ein eigens entwickeltes „Tischplakat“ – als Arbeitsinstrument zur Bewertung und Ideensammlung – für eine sog. Umgebungsanalyse zum Einsatz. Ziel ist es, Örtlichkeiten in der Einrichtung zu identifizieren, in denen sich die Bewohnenden gerne oder nicht gerne bewegen, wo häufig Bewegungsangebote stattfinden und welche Orte gemieden werden. Die Einrichtung kann daraus ableiten, welche räumlichen Potenziale sie hat. „Den Garten haben sie richtig schön gestaltet, da machen wir im Sommer auch immer Sport. Und auch sonst sind wir bei schönem Wetter immer draußen. Geräte zum Ausleihen wären toll“ (Aussage einer Teilnehmerin aus dem „Ideen-Café der Lebenswelt Pflege©“)
„Ich wünsche mir nen Fitnessraum, mit Geräten, die auch für Rollstuhlfahrer geeignet sind! Das könnte man hier im Therapieraum machen, der wird eh kaum genutzt.“ (Aussage eines Teilnehmers aus dem „Ideen-Café der Lebenswelt Pflege©“)
e) Gemeinsamer Ausklang, Verabschiedung und Ausblick
Die Aussagen und Diskussionsergebnisse der Teilnehmenden werden durch den QVNIA e. V. neutral und anonymisiert moderiert und visualisiert. Die Diskussionen werden ergebnisorientiert aufbereitet und in das einrichtungsbezogene Steuerungsgremium wertneutral und strukturiert eingebracht und mit den Teilnehmenden der Einrichtung sowie der Vertretung der Bewohnenden diskutiert. U. a. werden aus den Ergebnissen der „Ideen-Cafés der Lebenswelt Pflege©“ Handlungsempfehlungen zur Organisationsentwicklung, im Sinne von Bewegungsförderung, der Einrichtung abgeleitet.
Bereits 31 „Ideen-Cafés der Lebenswelt Pflege©“ wurden in den projektbeteiligten Einrichtungen umgesetzt und ausgewertet. Im Durchschnitt nahmen 20 Bewohnende/Tagesgäste an den „Ideen-Cafés“ teil. Erreicht wurden insbesondere Pflegebedürftige mit den Pflegegraden 2-4. Im Sinne der Qualitätssicherung erhalten alle Teilnehmenden einen schriftlichen „Feedback-Bogen“ zum Ausfüllen.
Das Projektteam des QVNIA e.V. hat darüber hinaus nach jeder Veranstaltung ein sehr positives und insbesondere emotionales Feedback von den Teilnehmenden erhalten. Jede Gruppe hat sich eine Wiederholung und ein Wiedersehen sowie eine Rückmeldung ihrer Ideen gewünscht.
Dies zeigt, dass Partizipation von Pflegebedürftigen möglich ist und begrüßt wird!
Gern steht der QVNIA e. V. für weitere Rückfragen zur Verfügung.